Agile Mitarbeiterführung – Alter Wein in neuen Schläuchen?

Ganz ehrlich? Ich kann agile Mitarbeiterführung nicht mehr hören! Alle reden davon als das „non plus ultra“ der aktuellen Führungstheorien. Ist das aber wirklich so bahnbrechend neu oder wird gerade wieder einmal eine „neue Sau durchs Dorf getrieben“?

Wenn man zurückblickt, dann hat Gerd Gerken schon in den frühen 90er Jahres des letzten Jahrhunderts in seinem revolutionären und nicht unumstrittenen Buch „Management by Love: Mehr Erfolg durch Menschlichkeit“ von einem Paradigmenwechsel in der Führung gesprochen. Er spricht sich für ein stärker besinnendes und empathisches Denken statt eines eher berechnenden und machtförmigen Denkens im beruflichen Alltag aus.

Und auch Oswald Neuberger hat in seinen Abhandlungen zu „führen und geführt werden“ den „Menschen in den Mittelpunkt“ gestellt. Das ist eigentlich nichts anderes, als es die modernen Ansätze der Führung heute tun möchten. Alt ist auch die Forderung, die Führungskraft soll nicht der beste Sachbearbeiter im Team sein, sondern ganz andere Führungsaufgaben (nämlich z.B. Loslassen und Vertrauen haben, die Mitarbeitenden „enablen“, die Eigenverantwortung der MA stärken, Aufgaben und Verantwortung delegieren, sich um die individuelle Entwicklung der Mitarbeitenden kümmern, situativ führen) wahrnehmen. Auch der gute alte McGregor mit seiner 1956 veröffentlichten X- und Y-Theorie erlebt gerade eine Renaissance. Ich erinnere mich, diese Theorie schon in meinen 1. Führungstraining mit Führungskräften aus der Reifen-Produktion besprochen und über den Zusammenhang von Haltung und Verhalten diskutiert zu haben.

Paradigmenwechsel in der Führung

So kommt es, dass ich mir verwundert die Augen reibe und denke, das mit der agilen Mitarbeiterführung ist doch alles „kalter Kaffee“ – ja, vielleicht ist die Idee hinter der agilen Führung alt, aber ich denke, dass jetzt erst die Zeit reif ist für diesen dringend notwendigen Paradigmenwechsel im Führungsverständnis. Denn wir haben tatsächlich mit immer schnelllebigeren Zeiten, kürzeren Entwicklungszyklen, Diversity-Teams, Globalisierung, verheerenden Einflüssen von Klimakatastrophen, die sich auf die Lieferketten und Produktion auswirken, etc. zu tun, VUCA – Welt eben. Nichts, scheint mehr stabil und berechenbar, nichts ist wie früher. Das ist Fakt, ob wir wollen oder nicht! Jetzt kann, nein muss Führung wendig und situativ, eben agil werden.

Die jungen Mitarbeiter der Generation Y, Z oder die Millenials sind mit diesem Gefühl sogar groß geworden: Patchworkfamilien, Praktikumsverträge statt Festanstellungen, unsichere Rentensituation, Globalisierung, Bereitschaft zur weltweiten Mobilität, ständige Erreichbarkeit seien hier nur als einige Beispiele genannt. Diese „Ypsyloner“ fordern heute einen anderen Führungsstil, ein anderes Führungsverhalten. Sie wollen im Unternehmen auf Augenhöhe agieren, regelmäßig Feedback zu ihren Leistungen bekommen, selbst bestimmen, wann und wie sie arbeiten. Die Ypsyloner nehmen sich die Freiheit, den Arbeitgeber zu wechseln, wenn dieser keine sinnstiftende Arbeit und keine Kultur anbietet, in denen man gerne arbeitet.

Wir können also nicht mehr „weiter so“ oder „et jing noch emmer joot“ sagen und am bisherigen, hierarchisch orientierten Denken in der Führung festhalten, denn neben den o.g. Punkten kommt hinzu, dass Arbeitgeber nicht zuletzt durch den demographischen Wandel auf junge Menschen aller Nationalitäten und Hautfarben angewiesen sein werden – und deren Kompetenzen und Erfahrungen wertschätzen und gerne nutzen sollten.

Meine Hoffnung

Meine große Hoffnung ist es tatsächlich, dass jetzt endlich die Zeit reif ist für den Paradigmenwechsel, der in der Vergangenheit schon häufiger heraufbeschworen, aber – mit bekannten Ausnahmen - selten ernsthaft umgesetzt wurde.

Aber was ist nun der Paradigmenwechsel? „Was meint „agile Mitarbeiterführung“ nun wirklich? Wenn alles agil ist oder werden soll, ist dann eh alles egal und beliebig? Was zählt dann noch? Woran orientieren wir uns dann im beruflichen Alltag? Was ist dann die Sicherheit gebende Konstante in unserem (beruflichen) Leben, wo der sichere Hafen? Agilität bedeutet nicht Gleichgültigkeit, Zufälligkeit oder Beliebigkeit; sehr kurz gefasst bedeutet „Agilität“ Flexibilität im Verhalten den Mitarbeitern gegenüber nach klaren Prinzipien oder Werthaltungen – übrigens ein Anspruch, den wir Baby-Boomer auch schon hatten.

Mehr denn je werden die von Führungspersonen gelebten Werte und das dazu passende Verhalten von zentraler Bedeutung sein. Wenn die Führungskräfte endlich den Arbeitsmodus zugunsten des Kommunikationsmodus verlassen, wie Dorothee Echter 2003 in ihrem Buch „Rituale im Management“ bereits forderte, wenn sie endlich vom „Macher“ zum „Möglich-Macher“ werden, dann haben wir es geschafft: Dann sind all die Hochglanzbroschüren mit den Unternehmenswerten oder Führungswerten wirklich das Papier wert, auf das sie gedruckt wurden. Aber dann brauchen wir sie eigentlich schon gar nicht mehr, weil die WertHALTUNG in den Köpfen, nein in den Herzen aller Mitarbeitenden Platz gefunden hat – und Führung und Zusammenarbeit selbstverständlich partnerschaftlich und auf Augenhöhe stattfindet – übrigens völlig unabhängig von der Hierarchie, der ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religion, sexueller Ausrichtung etc.

Ich persönlich erlebe seit mehr als 20 Jahren (Sie haben es eh alle schon gemerkt, ich gehöre zu den Baby-Boomern) in meinen Workshops/ Coachings, wie bereichernd es für Führungspersonen (und deren Mitarbeiter) sein kann, ihre eigene Werthaltung zu reflektieren und den Kommunikationsmodus zu erlernen. Das bedeutet vor allem auch, sich mit der neuen Rolle und den neuen Führungskompetenzen auseinanderzusetzen, sich und das eigene Führungs-Verhalten immer wieder zu reflektieren und sich zu entwickeln. Führungskräfteentwicklung ist eben Persönlichkeitsentwicklung.

 

Kontakt
Dr. Annette Glitz – Management Consulting - Telefon: +49 (0) 2157 12 89 755 | Mobil: +49 (0) 160 5808062

  • Langjährige Managementerfahrung für Human Resources, Management Development und Organizational Development in verschiedenen Konzernen
  • Mehr als 20 Jahre Erfahrung als Coach von Führungspersönlichkeiten und Moderatorin von effektiven und stimmungsvollen Workshops (auch in englischer Sprache)
  • Außergewöhnliche Erfahrung: Aufbau eines Personnel Development Departments in Rumänien mit einheimischen Mitarbeitern
  • seit November 2001 eigenes Beratungsunternehmen; 2012-2015 Geschäftsführerin ESPI Consulting GmbH
  • phil.; Diplom-Psychologin mit Schwerpunkt Wirtschaftspsychologie; Ausbildung in klinischer Hypnose und Hypnotherapie (Deutsche Gesellschaft für Hypnose), Weiterbildung systemische Therapie (Internat. Gesellschaft für systemische Therapie, Heidelberg), lizenzierte Trainerin für Kommunikation (Bratt-Institut); Dialog Methode (Equality Christel Ewert, Benthe); zertifizierter Senior Coach von key4you (Key4you GmbH, Herrsching); SCRUM (J. Dittmar, cocondi, München)
  • Interviews/ Publikationen und Vortragstätigkeiten